Grosser Schneemann und aus Indien adoptiertes Mädchen im Ostschweizer Winter 1982. Privatarchiv.

Adoptiveltern und ihr Umgang mit Rassismus in der Gesellschaft

«Manchmal haben wir auch auf dem Spielplatz erlebt, dass eine Mutter fand, ihr Kind darf nicht mit Rahel spielen, weil sie dunkel ist oder dass bei der Strandbar die Frau nebenan fand, dass es total daneben sei, ein Kind aus einer fremden Kultur zu adoptieren. Ja, haben wir auch erlebt, diese Seiten.»

Das erzählt Frau Amsler (alle Namen geändert), Mutter von zwei mittlerweile erwachsenen indischstämmigen Adoptivtöchtern. Eine andere Adoptivmutter, Frau Faber, erzählt von neugierigen Blicken, die der Familie immer wieder zugeworfen wurden, und ihrem Ärger darüber:

«Vielleicht auch, weil wir Eltern beide weiss sind, mit den dunkeln Mädchen, haben uns die Leute dann immer nachgeschaut. Nicht unbedingt missbilligend, sondern neugierig. Aber mit der Zeit nervt es einfach, weil man möchte einfach eine normale Familie sein. Wir waren einfach eine Familie wie jede andere Familie.»

Rassismus gegen die eigenen Adoptivkinder, abfällige Kommentare zum gewählten Familienmodell und aufdringliche Blicke sind Erfahrungen, die alle 13 für diese Studie befragten Adoptiveltern auf die eine oder andere Weise teilen.

Dabei war es meist eher Zufall, wenn eine Familie Adoptivkinder aus Indien zu sich nahm. Die Adoptiveltern hatten sich in der Regel zuerst vorgestellt, ein Kind aus der Schweiz zu adoptieren , doch die Hürden für eine Inlandadoption waren höher, und so entschieden sie sich für eine internationale Adoption. Frau Amsler beschreibt ihre Erinnerungen diesbezüglich pointiert:

«Dann fingen wir an, uns zu erkundigen. Wir waren zu alt für eine Schweizer Adoption. Es war ganz klar. Es gab eine Alterslimite und wir waren darüber, also war das gar kein Thema. Obwohl wir wussten, dass es in der Schweiz in den Kinderheimen Adoptivkinder hätte, welche keinen Platz hatten. Wir haben auch die Antwort bekommen: "Wir haben ja auch Heime und die müssen gefüllt sein und betrieben werden und deshalb gibt man die Kinder auch nicht frei zur Adoption." Das hat uns sehr nachdenklich gemacht, aber das liessen wir auf der Seite, weil wir fanden, dass eine Auslandsadoption auch ok wäre.»

Frau Amsler und ihr Mann stellten sich zu Beginn auf eine Adoption aus Südamerika ein, ehe von der Vermittlungsstelle der Vorschlag eines indischen Kindes kam. Familie Amsler konnte sich das vorstellen, weil sie Indien vom Reisen bereits ein wenig kannten. Andere befragte Adoptiveltern hatten bis zur Adoption keinerlei Bezüge zu Indien.

Wie wurden die Adoptiveltern darauf vorbereitet, ein Kind of Color aufzunehmen?

Mona und eine andere unehelich schwangere Bewohnerin des Shelters Asha Kendra in Kalkutta,  1986

Begrenzte fachliche Unterstützung

In den Jahren 1973-2002 war das Thema Rassismus in der Öffentlichkeit kaum kritisch diskutiert. Der folgende Ausschnitt aus einer von renommierten Stellen herausgegebenen Broschüre aus dem Jahr 2004 veranschaulicht dies.

Ausschnitt aus der auf Deutsch und Französisch erschienenen Broschüre «Adoption von Kindern aus fremden Kulturen», 2004 herausgegeben vom Marie Meierhofer Institut für das Kind, der Schweizerischen Fachstelle für Adoption und der Schweizerischen Stiftung des Internationalen Sozialdiensts. S. 19 f.

Den Verfasser*innen muss attestiert werden, dass sie das «Problem des Rassismus» aufgreifen, jedoch recht knapp abhandeln und aus rassismuskritischer Sicht zweifelhaft argumentieren: Auffallend ist das durchgängige Exotisieren der Adoptierten als «süsse dunkelhäutige Babies», und als Menschen, deren «Andersartigkeit» immer an die «ausländische Herkunft» erinnern wird. Heute wissen wir: Die «Andersmachung» von Menschen aufgrund von willkürlichen Eigenschaften wie der physischen Erscheinung oder dem Geburtsland ist gerade das zentrale Merkmal von Rassismus. Statt dieses «Andersmachen» zu hinterfragen, wird es in der Broschüre gefestigt. Weiter hält die Broschüre fest, dass dem Adoptivkind unweigerlich Rassismus begegnen werde, «auch wenn sich dieser bloss in unangenehmen Bemerkungen» äussere. Die Erfahrungen der Adoptiveltern zeigen, dass dies verharmlosend ist. Alle befragten Adoptiveltern beschreiben Rassismuserfahrungen gegen ihre Adoptivkinder, die sie miterlebt haben, wie rassistische Ausdrücke und Beleidigungen, Weigerungen, dem Kind die Hand zu geben oder neben ihm zu sitzen, bis zu ungefragtem Anfassen und In-die-Haare-Fassen und unangenehmen Blicken fremder Personen. Teilweise wissen sie auch von Rassismuserfahrungen, die ihren Adoptivkindern als Erwachsene begegnen, wie Racial Profiling, Rassismus am Arbeitsplatz oder im Militär. Schliesslich fällt im Ausschnitt aus der Broschüre auf, dass zwar an die Adoptiveltern appelliert wird, sich mit Rassismus auseinanderzusetzen und das Adoptivkind zu unterstützen – wie dies konkret aussehen könnte, bleibt jedoch offen. Die Ausführungen schliessen damit, dass die Angst der Adoptiveltern vor Rassismus oft stärker sei als die tatsächlichen Feindseligkeiten gegen das Adoptivkind. Es wird vor einer «Übertragung» der Ängste auf das Kind gewarnt. Das ist eine Verdrehung der gesellschaftlichen Realitäten. Eine aktuelle Studie im Auftrag der Fachstelle für Rassismusbekämpfung zeigt, dass Rassismus sich nicht auf rassistische Bemerkungen beschränkt, sondern jeden Lebensbereich von rassismusbetroffenen Menschen tangiert.[FN1 Leonie Mugglin, Denise Efionayi-Mäder, Didier Rued in & Gianni D‘Amato: Grundlagenstudie zu strukturellem Rassismus in der Schweiz, Neuchâtel 2022]

Trotz vereinzelter Thematisierung durch die Vermittlungsstellen, die Eltern für das Thema Rassismus zu sensibilisieren, zeigen die Gespräche mit den 13 Adoptiveltern aus den Kantonen Zürich und Thurgau, die zwischen 1973 und 2002 Kinder aus Indien adoptiert haben, dass sie damals von den Adoptionsvermittlungsstellen kaum darauf vorbereitet wurden, was es bedeutet, in der Schweiz ein Kind of Color grosszuziehen. Sie waren im Umgang mit Rassismus weitgehend auf sich selbst und eigene Ressourcen zurückgeworfen.

Das Thema Rassismus vermeiden

Dass die Adoptionsvermittlungsstellen das Thema Rassismus allem Anschein nach wenig und wenig fundiert thematisierten, passt in den gesellschaftlichen Kontext des Untersuchungszeitraums. Seit dem Ende des 2. Weltkriegs wurde Rassismus gesellschaftlich und politisch als weitgehend überwundenes Problem gesehen: Rassismus tritt höchstens in Ausnahmefällen auf, also muss man ihn auch nicht speziell thematisieren, so die landläufige Meinung. Dass dies nicht mit der Realität übereinstimmt(e), wird erst in den letzten Jahren vermehrt anerkannt und öffentlich diskutiert. In der Schweiz wie auch in anderen Teilen Europas fehlen oft nach wie vor die Worte, wenn es um Rassismus geht. Über Rassismus zu sprechen, fällt schwer. Weisse Menschen, die Rassismus ablehnen, wollen oft nichts Falsches sagen, sind verunsichert und möchten niemanden verletzen. Dieser vermeidende Umgang wird auch bei den Adoptiveltern sichtbar.

Herr Bertschi zum Beispiel beschreibt: «Wir haben sie einfach erzogen wie normale Kinder hier. Sie waren für uns einfach Kinder und nichts Besonderes. Also Kinder sind ja etwas Besonderes, aber nicht noch: «oh, das sind dann …!» Sie waren einfach hier, und wir gründeten eine normale Familie.»

Und Frau Faber schildert: «Und selbst sieht man diese Farbe gar nicht mehr, Tina ist einfach Tina und ich blende die Farbe einfach aus.»

Grosser Schneemann und aus Indien adoptiertes Mädchen im Ostschweizer Winter 1982. Privatarchiv.

Foto: Grosser Schneemann und aus Indien adoptiertes Mädchen im Ostschweizer Winter 1982. Privatarchiv.

Inwiefern den Adoptivkindern Rassismus begegnet ist, schätzen die Adoptiveltern unterschiedlich ein: Einige vermuten, dass ihre Adoptivkinder ihnen nicht alles erzählten, was sie erlebten, sei es als Kinder oder als Erwachsene. Andere halten fest, dass sie nicht wüssten, ob die Adoptivkinder Rassismus erfahren hätten. Weitere erzählen, dass sie selbst nie etwas mitbekommen hätten, aber nicht ausschliessen können, dass hinter ihrem Rücken rassistisch geredet wurde. Andere sind sich sicher, dass Rassismus für ihr Kind kein relevantes Thema sei, so wie Herr Noser: «Ich habe auch noch nie gehört, dass meine Adoptivtochter das Gefühl gehabt hat, dass ihr Rassismus begegnet ist. Habe ich noch nie gehört. (…) Mir ist nichts Schwerwiegendes bekannt.» Von sich aus äussert niemand der Befragten Bedenken, dass Rassismus etwas sein könnte, das die Adoptivkinder nachhaltig beschäftigt oder belastet, weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart.

Miterlebten Rassismus bezeichnen sie kaum als solchen, sondern sprechen von «schlechten Erfahrungen», «Vorbehalten», «komischen» oder «solchen» «Erlebnissen», «unangenehmen Situationen», «Seitenhieben» oder «(dummen) Sprüchen» und «Bemerkungen», wie folgendes Zitat von Frau Amsler zeigt: «Das mit diesen Bemerkungen war nicht häufig.»

Umgang mit Rassismus

Aber wie gingen die Adoptiveltern mit Rassismus um und inwiefern haben sie diesen gegenüber ihren Adoptivkindern thematisiert? Frau Amsler erzählt, wie sie mit ihrer Adoptivtochter geübt hat sich zu wehren, wenn sie im öffentlichen Verkehr von «älteren Schweizer Männern» angemacht wird: «Wir haben dann mit Rollenspielen geübt, wie sie reagieren kann. Wirklich, wir haben einfach Rollenspiele gemacht, bis wir am Schluss sogar Tränen gelacht haben. Sie hat aber einfach gesagt: «Das hilft mir so. Manchmal kann ich sogar einen Spruch fallen lassen oder es kommt mir nicht so nah. Ich kann Distanz nehmen».» Herr Engel betont, wie es ihnen in der Erziehung wichtig war, ein gutes Selbstbewusstsein zu entwickeln: «Uns ist nicht alles gelungen, aber das ist uns gelungen, dass sie Reena ein gutes Selbstbewusstsein hat und nicht so verunsichert ist von Angriffen von aussen oder so.»

Manche Adoptiveltern reagierten, wenn ihre Adoptivkinder rassistisch angefeindet wurden. Sie intervenierten bei einzelnen Schulkindern, indem sie sie zur Rede stellten. Andere hielten im Kindergarten eine Lektion für die Klasse, in der sie über Indien und Adoptionen erzählten.

Ein Ostschweizer Ehepaar erwartet 1980 ein indisches Kind mit Puppen unterschiedlicher Hautfarben. Privatarchiv.

Ein Ostschweizer Ehepaar erwartet 1980 ein indisches Kind mit Puppen unterschiedlicher Hautfarben. Privatarchiv.

Andere berichten, rassistische Kommentare teilweise bewusst ignoriert und gewisse Menschen gemieden zu haben, wie Herr Engel schildert: «Vielleicht hatten wir die Fähigkeit, gewisse Sachen einfach zu überhören oder wegzuschauen und uns nicht mit Leuten zusammenzutun, welche so denken. Oder auch eine dickere Haut gehabt oder genug Selbstvertrauen.»

Das Zitat von Herrn Engel zeigt auch, dass es für die Adoptiveltern dazu gehörte, nervenstark sein zu müssen und Selbstvertrauen zu haben, um die rassistischen Kommentare zu ertragen. Dies deutet auf eine mögliche Belastung durch die Situation hin.

Auch das Kleinreden von rassistischen Erfahrungen kam vor. So erzählt Herr Hagenbuch: «Also das mit dem Aussehen, dass man das etwas abschwächt. Also ich habe ihr auch gesagt: ‹Du musst gar nicht meinen, Anita wird auch „azündt“, sie hat rote Haare und du bist etwas dunkler. Also sie wurde dafür auch immer gehänselt in der Schule.»

Die gesellschaftlich bedingte Schwierigkeit, über Rassismus zu sprechen und die Thematik eher zu vermeiden oder zu verharmlosen, betrifft in unterschiedlichem Ausmass auch Adoptiveltern.

Die befragten Personen heben allesamt hervor, dass Rassismus in der Familie kein grosses Thema gewesen sei. Insgesamt kann deshalb vermutet werden, dass sich die Kinder mit ihren Adoptiveltern nur begrenzt über Rassismus austauschen konnten.