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Das Jahrtausende alte indische Kastensystem diente der sozialen Stratifizierung der Gesellschaft und unterteilte sie in verschiedene soziale Gruppen. Gewichtige Lebensentscheidungen wie die Berufswahl oder die Wahl des Ehepartners bzw. der Ehepartnerin wurden innerhalb dieser Struktur gefällt. Das Kastensystem ist in der altindischen, hinduistischen Textsammlung Manusmriti ausformuliert und umfasst vier Hautpkasten (Brahmanen, Kshatryas, Vaishyas, Shudras), eine ausserhalb des Kastensystems angesiedelte Kategorie (Dalits bzw. Scheduled Casts) und tausende Subkasten. Das Gesetzesbuch des Manu (Manusmriti) ist einer der am meisten benutzten und zitierten altindischen Texte über religiöse, rituelle, politische und alltagsweltliche Normen. Es enthält Vorschriften zu Erbschaft, Adoption, Steuern, Strafen, Prozessrecht und Sühne. Die Entstehung der Manusmrti wird auf 100 v. Chr. – 200 n. Chr. geschätzt.
Die indische Sozialarbeiterin Asha Narayan Iyer[FN1 Narayan Iyer, Asha (2024). Rechtliche Bestimmungen und Rechtspraxis. Internationale Adoptionen in Indien. In: Andrea Abraham, Sabine Bitter und Rita Kesselring (Hrsg.), Mutter unbekannt. Adoptionen aus Indien in den Kantonen Zürich und Thurgau, 1973–2002 (S. 99–116), hier S. 100.] schreibt:
«Die indischen Kastensysteme ordnen die Menschen je nach Beruf hierarchisch in vier Kasten ein und bestimmten ihren Zugang zu Reichtum, Macht und Privilegien. Historisch betrachtet, standen in dieser Hierarchie die Brahmanen, in der Regel Priester und Gelehrte, an der Spitze. Es folgten die Kshatriyas, die politischen Herrscher und Soldaten. Ihnen folgten die Vaishyas oder Kaufleute, und an vierter Stelle standen die Shudras, die in der Regel Arbeiter, Bauern, Handwerker und Diener waren. Ganz unten standen die Unberührbaren. Diese Menschen übten Tätigkeiten aus, die als unrein und verunreinigend galten, wie z. B. Abfallbeseitigung und das Häuten toter Tiere. Sie wurden von den höherrangigen Kasten ausgeschlossen. Obwohl einige auf Kasten basierende Vorurteile und Rangordnungen immer noch bestehen, sind Reichtum und Macht heute weniger mit der Kaste verbunden. Die Bedeutung der Kaste hat im täglichen Leben von Menschen in städtischen Gebieten im Vergleich zu den ländlichen Gebieten stark abgenommen, ist aber je nach sozialer Schicht und Beruf immer noch unterschiedlich gross. Die Diskriminierung aufgrund der Kastenzugehörigkeit ist in Indien verboten worden, existiert aber immer noch. Im Laufe der Jahre hat die Regierung verschiedene Gesetze erlassen, um benachteiligte Gesellschaftsschichten und Kasten zu fördern und Vorurteile abzubauen.»
Trotz seiner offiziellen Abschaffung im Jahr 1949 im Zuge der indischen Verfassung und der höheren Durchlässigkeit in der heutigen Zeit spielte das Kastensystem in vielen Bereichen des Lebens der 1970er- bis 2000er-Jahre noch immer eine prägende Rolle.
Quellen / Literatur
Chakravarti, Uma. 2004. «Conceptualizing Brahminical Patriarchy in Early India: Gender, Caste, Class and State». In Class, Caset, Gender. Readings in Indian Politics, 271–95. Delhi: Sage Publications.
Gupta, Dipankar (2000). Interrogating caste: understanding hierarchy and difference in Indian society. Penguin Books.