Motive

«Warum wollen Sie ein indisches Kind adoptieren?» Diese Frage wurde angehenden Pflege- und späteren Adoptiveltern häufig gestellt. Sozialarbeiterinnen und Vertreter von Vormundschaftsbehörden notierten die Beweggründe in den Akten. Häufig genannte Motive waren eine medizinisch bedingte Kinderlosigkeit, der Wunsch, eine Familie zu gründen oder diese gezielt zu erweitern, etwa Geschwister für bisherige Kinder zu bekommen. Häufige Gründe waren auch, die Paarbeziehung zu beleben, eine sinnvolle Aufgabe zu übernehmen, sich humanitär zu betätigen und Not zu lindern. Folgende Motive gaben Paare, die an einer Adoption interessiert waren, im folgenden Wortlaut zu Protokoll:

«Nach ärztlichen Untersuchungen stellte sich heraus, dass Frau […] wegen einer Eileiterverklebung mit grösster Wahrscheinlichkeit keine Kinder bekommen kann.»  

Quelle: Stadtarchiv Winterthur, Amtsvormundschaft zu Etatnr. 8659, Schreiben eines Sozialarbeiters an Fremdenpolizei des Kantons ZH, 23.11.1981.

«Nach ärztlicher Untersuchung beider Ehepartner ist die Chance von beiden Seiten nur sehr klein, überhaupt noch ein Kind zu bekommen. Sie haben sich deshalb entschlossen, ein Kind zu adoptieren.»  

Quelle: Stadtarchiv Winterthur, Amtsvormundschaft zu Etatnr. 8410, Schreiben eines Sozialarbeiters an Fremdenpolizei des Kantons ZH, 17.8.1981.

«Beide hatten seit jeher den Wunsch, eine Familie mit mehreren Kindern zu gründen.»  

Quelle: Stadtarchiv Winterthur, Amtsvormundschaft zu Etatnr. 10097, Sozialbericht, 23.6.1993.

«Herr und Frau […] leiden seit Jahren unter ihrer Kinderlosigkeit und spüren dadurch eine gewisse Leere in ihrem Familienleben. Sie haben das Gefühl, zu sehr aufeinander ausgerichtet zu sein, und haben daher den starken Wunsch, ihre Familie durch ein Kind zu erweitern.»  

Quelle: StAZH, Z 527.461, Sozialbericht, 19.3.1981.

«Da sie beide sehr kinderliebend sind und die Meinung vertreten, dass das Zusammenleben mit Kindern eine Bereicherung des emotionalen Lebens sowie auch ein soziales Engagement ist, interessieren sie sich für die Aufnahme von Pflegekindern.»  

Quelle: Stadtarchiv Winterthur, Amtsvormundschaft zu Etatnr. 10208, Sozialbericht, 4.11.1996.

«Da die eigene Tochter […] bereits in der 6. Primarklasse ist, fehlt der 3-jährigen […] ein kleines Schwesterchen, das mit ihm aufwachsen und spielen könnte. In sozialer, wie auch in psychologischer Hinsicht wäre es daher wünschenswert, dass Familie […] ein weiteres Kind, möglichst ein Mädchen zwischen 1 bis 2 Jahren, adoptieren könnte.»

Quelle: StAZH, Z 527.520, Sozialbericht, 21.9.1981.

«Da die beiden Kinder, die jetzt 8 und 10 Jahre alt sind, nicht mehr soviel Zeit und Kraft benötigen, überlegte sich Frau […] eine zusätzliche Aufgabe. Sie hatte den Eindruck, noch eine neue Herausforderung zu brauchen und ihre Kräfte noch irgendwo einsetzen zu müssen […].»  

Quelle: Stadtarchiv Winterthur, Amtsvormundschaft zu Etatnr. 9515 und Vormundschaftsbehörde zu Etatnr. 9515, Amtsvormundin an Vormundschaftsbehörde der Stadt Winterthur, 17.11.1992.

« […] aus der humanitären Einstellung heraus, einem notleidenden Kind Lebens- und Entfaltungsmöglichkeiten zu geben, haben sie sich um ein Kind aus der dritten Welt bemüht.»  

Quelle: Stadtarchiv Winterthur, Amtsvormundschaft zu Etatnr. 8200, Auszug aus dem Protokoll der Vormundschaftsbehörde der Stadt Winterthur, 11.10.1983.

«Das Ehepaar […] will keine eigenen Kinder, weil es aufgrund der heutigen Weltlage zu viele elternlose Kinder gibt. Sie möchten zwei solchen Kindern ein gutes Zuhause geben und liebevolle Eltern sein.»

Quelle: StAZH, Z 527.474, Sozialbericht, 24.3.1987.

«Das Ehepaar möchte gerne mit Kindern zusammenleben, vor allem mit Kindern, welche […] sozial benachteiligt sind.»  

Quelle: Stadtarchiv Winterthur, Amtsvormundschaft zu Etatnr. 10126, Sozialbericht, 26.7.1991.

Diese häufig genannten Beweggründe weisen darauf hin, dass es zweitranig war, aus welchem Land das gewünschte Kind kam.

«Da die Möglichkeit in der Schweiz […] sehr klein ist und sie ein befreundetes Ehepaar kennen, das ein Kind aus Indien zur Adoption aufgenommen hat, entschlossen sie sich für diesen Weg und dieses Land.»  

Quelle: Stadtarchiv Winterthur, Vormundschaftsbehörde zu Etatnr. 9482, Sozialbericht, 8.1.1988.

Aus welchen Gründen adoptierten Ehepaare ein Kind?

Auch in den Interviews, welche die Forscherin Nadine Gautschi geführt hat, äusserten sich Adoptiveltern zu ihren Beweggründen, ein Kind zu adoptieren. Manche handelten aus humanitären Gründen, andere konnten keine eigenen Kinder haben. Dass sie danach ein Kind oder mehrere Kinder aus Indien adoptierten, hatte mit den abnehmenden Möglichkeiten zu tun, ein inländisches Kind zu adoptieren, aber auch mit Anregungen aus dem sozialen Umfeld.

*=Alle in den folgenden Passagen genannte Namen wurden geändert.

Altruistische Motive
«Ich habe meiner Frau damals gesagt: ‚Wenn wir einmal Kinder haben, dann könnte ich mir auch vorstellen ein zusätzliches Kind zu haben. […]‘ Das ist jetzt so der internalisierte Sozialarbeiter, den werde ich nicht mehr los. ‚Dann würde ich gerne einem Kind Platz bieten, welches vielleicht nicht ideale Voraussetzungen hatte.‘ Wir gingen auch einmal AIDS-Kinder anschauen. Ich hätte mir auch ein Pflegekind vorstellen können, aber nach dem zweiten Kind fand dann meine Frau: ‚Komm wir adoptieren eins.‘»  

Herr Noser*[FN99 Alle mit * gekennzeichneten Namen wurden geändert], Interview vom 5.4.2023.

«Wir hatten schon zwei [Kinder] und wollten eigentlich einfach einem Kind helfen.»

Herr Hagenbuch*, Interview vom 16.12.2022.

«Wir hatten vor der Adoption drei eigene Kinder, und der Wunsch, ein Adoptivkind zu haben, kam bereits während der zweiten Schwangerschaft vor allem von meinem Mann her. Er hat eine Cousine, die – ich weiss nicht aus welchem Land – adoptiert ist, und das beschäftigte und bewegte ihn irgendwie. Er brachte das eigentlich in unsere Ehe und Familie hinein. Für mich war das gar kein Thema. Ich hatte mich nicht damit auseinandergesetzt. Ich hatte nach dem zweiten Kind aber noch nicht abgeschlossen mit eigenen Kindern und sagte ‚ich hätte gern noch ein drittes Kind, ein eigenes‘, und habe dann bewusst diese [dritte] Schwangerschaft so ein wenig als die letzte angesehen. […] Danach ist das vor allem wieder von meinem Mann her gekommen: ‚Ja, wie ist jetzt das mit dieser Adoption?‘ Und dann habe ich mich auch auf das eingelassen, auf diesen Weg, ja wieso nicht... Eine grosse Familie war immer etwas, was ich mir gewünscht habe.»

Frau Engel*, Interview vom 10.12.2022.

«Ich habe Kinder gerne. Ich möchte darum einem Kind eine Chance bieten. Weil ich das Gefühl habe, dass wir als Familie die Möglichkeiten und Kapazitäten für ein weiteres Kind noch haben, möchte ich den freien Platz gerne einem Adoptionskind zu Verfügung stellen. Unser Adoptionskind soll die gleiche Erziehung erhalten wie unsere anderen Kinder auch. In erster Linie soll ein Kind bei uns geliebt werden, es soll angenommen sein in seiner Art und in seiner Persönlichkeit gefördert werden. Es soll aber auch lernen, Rücksicht und Achtung der Mitmenschen und der Natur gegenüber zu haben. Wir wollen dem Kind auch den christlichen Glauben lieb machen. Wenn durch eine Adoption die Möglichkeit besteht, einem Kind zu helfen, dann ist das eine gute Sache, egal ob es eine schweizerische oder eine internationale Adoption ist.»

Auszug aus dem Motivationsschreiben von Frau Engel*, vorgelesen von Herrn Engel*, Interview vom 10.12.2022.

Eigene Kinderlosigkeit  
«Wir haben einfach von Anfang an gesagt: ‚Wenn es für uns einmal keine eigenen Kinder gibt, dann adoptieren wir.‘ Und es hat dann eben keine eigenen gegeben, und dann haben wir das in die Wege geleitet.»

Ehepaar Meister*, Interview vom 3.4.2023.

«Man weiss nicht, warum dieser Wunsch da ist, eine Familie zu haben. Ich war damals schon 35. Wir hatten schon auch [mit reproduktionsmedizinischer Hilfe] probiert, aber es war einfach [nicht möglich]. Warum auch immer, ich kenne den Grund nicht. Und es ist mir auch egal. Ich möchte keine anderen Kinder.»

Frau Lamprecht*, Interview vom 20.2.2023.

«Wir sind unter 30 gewesen, so 26, 27ig. Es hat sich herausgestellt, dass ich keine Kinder bekommen kann, und dann haben wir uns zuerst bei einer Adoptionsstelle in der Schweiz angemeldet.»

Ehepaar Gerodetti*, Interview vom 2.3.2023.

«Ja, also angefangen hat es, weil es mit der Familienplanung nicht geklappt hatte.»

Ehepaar Faber*, Interview vom 7.12.2022.

«Manchmal hat es mich genervt, wenn Leute sagten ‚ihr macht so viel für diese Kinder, die können glücklich sein‘. Und dann sagte ich: ‚Ja, wir können auch glücklich sein.‘ Es beruht auf Gegenseitigkeit und ist im besten Fall eigentlich eine Win-Win-Situation. Also: Sie kriegen Eltern und wir Kinder. Und wir wollten beide genau das. Also insofern hat es mich manchmal genervt, als wären wir die Wohltäter und retten diese Kinder, die sonst in einem schlimmen Land aufgewachsen wären oder in einem Heim. Aber dass wir auch völlig verzweifelt waren, weil wir keine Kinder haben konnten und jetzt das Glück haben, Kinder zu haben, das ist dann unsere Seite. Das musste ich manchmal etwas klarstellen.»

Ehepaar Faber*, Interview vom 7.12.2022.

«Wir haben keine Kinder bekommen, weil ich […] keine guten Samen hatte. Es wäre nicht ausgeschlossen gewesen, aber es war einfach... Auf jeden Fall haben wir gesagt, wir könnten uns auch vorstellen, Kinder zu adoptieren. Zuerst haben wir gar nicht viel gedacht und gingen dann einmal zur Adoptionsstelle.»

Herr Denzler*, Interview vom 6.12.2022.

«Bei uns hat es sich einfach einmal herausgestellt, dass wir selbst keine Kinder haben können. Und nachher war dann bald einmal klar, dass wir gern Kinder hätten und einfach schauten, um eines zu adoptieren.»

Ehepaar Bertschi*, Interview vom 23.11.2022.

«Wir hatten [als ich ein Kind war] immer Pflegekinder. Die Kinder, die [in der Schweiz] zur Adoption freigeben wurden, hatten wir in der Zwischenzeit als Pflegefamilie. Für mich war das [als Erwachsene] ein bekanntes Thema, und mein Mann war selbst ein Adoptivkind. Dann haben wir eigentlich von Anfang an [gesagt]: Wenn wir keine eigenen Kinder haben können, dann wäre es eine Möglichkeit, auch Kinder zu adoptieren. Ich hatte zwei Fehlgeburten im Ganzen, und dann fanden wir eigentlich, falls Kinder, dann wäre Adoption ein Thema.»

Frau Amsler*, Interview vom 29.11.2022.

Weshalb adoptierten die Ehepaare ein Kind aus dem Ausland?

Erschwerte Bedingungen in der Schweiz
«Schweizer Kinder gibt es ja fast gar keine.»

Ehepaar Meister*, Interview vom 3.4.2023.

«Man hatte schon damals gesagt, dass es fast unmöglich ist, dass man Kinder innerhalb der Schweiz bekommt.»

Herr Hagenbuch*, Interview vom 16.12.2022.

Frau Hagenbuch*: «Anstatt ein drittes eigenes Kind, lieber einem helfen. Das war eigentlich der Grund. Aber eben, in der Schweiz sagten sie uns: ‚Sie haben ja bereits zwei.‘»
Herr Hagenbuch*: «Ja also, weil es eigentlich Mangelware war. Also das ist ein extremer Ausdruck, aber es hatte fast keine Schweizer Kinder, die man kriegte, und wir wollten ja eigentlich einfach einem Kind helfen.»

Ehepaar Hagenbuch*, Interview vom 16.12.2022.

«Ich hatte mich natürlich bereits im Voraus erkundigt, welche Organisationen es gibt für Adoptionen generell und auch über inländische Adoptionsmöglichkeiten. Letzteres habe ich aber ziemlich schnell wieder verworfen wegen der langen Wartezeiten.»

Ehepaar Faber*, Interview vom 7.12.2022.

«Man wusste, dass es in jener Zeit wahnsinnig schwierig war, ein Schweizer Kind zu erhalten. Man wartete lange, lange. Deshalb meldeten wir uns bei Terre des hommes an.»

Ehepaar Bertschi*, Interview vom 23.11.2022.

«Wir waren zu alt für eine Schweizer Adoption. Es war ganz klar. Es gab eine Alterslimite und wir waren darüber, also war das gar kein Thema. Obwohl wir wussten, dass es in der Schweiz in den Kinderheimen Adoptivkinder hätte, welche keinen Platz hatten. Wir haben auch die Antwort bekommen: ‚Wir haben ja auch Heime, und die müssen gefüllt sein und betrieben werden. Deshalb gibt man die Kinder auch nicht frei zur Adoption.‘ Das hat uns sehr nachdenklich gemacht. Aber das liessen wir auf der Seite, weil wir fanden, dass eine Auslandsadoption auch ok wäre.»

Ehepaar Amsler*, Interview vom 29.11.2022.

Angeregt durch das soziale Umfeld
«Mein Mann hat mit einem Freund zusammengearbeitet, der ein Mädchen aus Indien adoptiert hat. Wir haben uns dann über den Freund ein bisschen schlau gemacht, wie, was man da braucht, wo man sich da melden muss und so weiter.»

Frau Gerodetti*, Interview vom 2.3.2023.

«Wie wir auf indische Kinder gekommen sind, war ein Zufall. Ich [hatte beruflich] mit einer Swissair Hostess zu tun. […] Und dann sagte sie: ‚Wir [Swissair Personal] gehen nach Mumbai und helfen in diesem Heim, wickeln und hüten Kinder. Das ist ein Heim voller kleiner Mädchen, da könntest du herkommen und auslesen.‘ Das konnte man natürlich überhaupt nicht, aber es ging mir mitten hinein [ins Herz]. […] Ein Heim voll kleiner Mädchen. Denn die wollen [in Indien] ja die Mädchen nicht. […] Aber ich dachte einfach, wenn ich diesen Weg gehe, würde mein erster Telefonanruf an sie gehen. Und so machten wir es dann. […] Ich rief sie an, und sie gab mir die Nummer von Paul Wyss, das war der Chef de cabine der Swissair, mit dem sie immer zusammenarbeitete. Und er arbeitete mit Helga Ney [waadtländische Adoptionsvermittlerin] zusammen.»

Frau Lamprecht*, Interview vom 20.2.2023.

Auf indirektem Weg zum Kind aus Indien
Herr Denzler*: «Vielleicht ist es noch wichtig zu erwähnen, dass wir mit Indien nichts am Hut hatten und keinen Kontakt hatten. […] Wir hatten eigentlich keine Ahnung von dieser Kultur. Das muss man ehrlicherweise sagen.»
Frau Denzler*: «Das ist eigentlich nur aus dieser ‚Sonderwarteliste‘1 entstanden, dass es ein 8.5-jähriges Mädchen aus Indien war.»
Herr Denzler*: «Wir wären auch nie auf die Idee gekommen, aus Indien ein Kind zu adoptieren.»
Frau Denzler*: «Nein, nie. Darum waren wir auch auf der Schweiz Adoptionsstelle angemeldet.»

Ehepaar Denzler*, Interview vom 6.12.2022.

Quellen / Literatur